Ein ungewöhnlicher Fund
Von der Sonne hell bestrahlte Eiskristalle glitzern an dem Fenster neben meinem Bett. Sturm und Regen sind über die Nacht vorbeigezogen und ich schlüpfe aus der warmen Bettdecke, hinein in meine Kuschelpantoffeln. Ich watschle ins Wohnzimmer und sehe Uwe wie er, ganz aus dem Häuschen, vor dem Fenster hin und her hüpft. Er sieht mich freudig an und sagt: „Guten Morgen Deichschaf. Das musst du dir ansehen!“ Uwe zeigt aus dem Fenster auf den Strand hinaus und ich schaue in die Richtung, in die er deutet. Von dort leuchtet tatsächlich etwas aus dem Sand zu uns hinauf. „Lass uns nachschauen, was die Flut letzte Nacht angespült hat!“ Noch eh ich mich versehe ist Uwe in Mütze und Schal gekleidet und flitzt zur Tür. Ich tue es ihm gleich, ziehe mir die Gummistiefel an und schon stehen wir am Strand. Wir gehen zu dem Punkt, den wir vom Fenster aus, gesehen hatten. „Schau mal Deichschaf, das ist ja eine Flasche!“, ruft Uwe und springt ganz aufgeregt zu dem kleinen Sandhaufen. Er macht ein entzücktes Gesicht. Ich befreie die Flasche von den gefrorenen Sandresten und bin erstaunt. „Da ist ja ein zusammengerolltes Stück Papier drinnen!”
Was steht im Kleingedruckten?
Mit frisch gebackenen Brötchen vom Bäcker um die Ecke setzen wir uns an den Esstisch und begutachten den morgendlichen Fund. Die Flasche ist mit einem Wachs versiegelten Korken versehen, den wir mit ein bisschen Wärme und einem Flaschenöffner entfernen. Der Korken ploppt und es riecht plötzlich viel weihnachtlicher in der Wohnung. Uwes Augen werden immer größer. Er hält die Spannung fast nicht aus. Um die Rolle ist ein rotes Satinband gewickelt, welches wir vorsichtig entfernen. Ich entrolle sorgsam das Papier und lese Uwe den Inhalt vor. „Hilfe! Durch das unsägliche Wetter hat der Rentiergewerkschaftsverbund einen Streik ausgerufen. Bei diesem furchtbaren Sturm und Regen will die Rentiercrew nicht über die Nordsee fliegen. Die Geschenkeversorgung der Küstengebiete ist in Gefahr und fällt in diesem Jahr restlos aus, wenn nicht jemand etwas dagegen unternimmt.“ Uwe und ich schauen uns ungläubig an. Ich lese weiter: „Ich bitte Sie, lieber Finder, retten Sie Weihnachten! Ich habe für den Katastrophenfall ein geheimes Geschenkedepot im Schloss Ritzebüttel in Cuxhaven angelegt. Wo genau, erfahren Sie im untenstehenden Kleingedruckten[1].“ Dann lese ich die in schwungvoll gezeichneten Buchstaben der Unterschrift vor: „Der echte und einzige Weihnachtsmann.“ Uwe klappt der Schnabel runter.
Seehunddamen-Schwimmsportteam
„Und jetzt wollt ihr, das Deichschaf und eine Möwe mit gestauchtem Flügel, Weihnachten retten?“ Robbie schaut uns skeptisch an. Nachdem wir den Schreck am Morgen sowie das Frühstück verdaut hatten, haben wir uns direkt auf den Weg hierher zu meiner guten Freundin gemacht und ihr von den Ereignissen berichtet. Uwe plustert sich auf: „Klaro, klarissimo! Wenn nicht wir, wer dann? Wir haben sogar schon einen Plan!“ Robbi und ich müssen grinsen. Uwe sieht so aufgeplustert, fast wie eine Flauschekugel mit Schnabel, aus. Er fährt fort: „Als erstes brauchen wir einen fahrbaren und bootsähnlichen Untersatz. Etwas, dass an Land und im Wasser fahren kann!“ „Ja, vor allem sollte es auf dem Watt fahren können!“, ergänze ich Uwe. „Und bedenkt das Wetter!“, sagt Robbie mit nachdenklichem Gesicht. Plötzlich scheint ihr eine Idee in den Sinn zu kommen. „Unser Seehunddamen-Schwimmsportteam kann euer Gefährt durch jeden Sturm und Regen schnell voran ziehen!“ „Heureka!“ rufen Uwe und ich. Robbi klatscht freudig mit den Flossen. „Mit leckeren Vanillekipferln und einem fruchtigen Weihnachtspunsch werden meine Freundinnen nicht nein sagen können!“ Zusammen backen wir Kekse, setzen in einem großen Topf einen Zimt-Apfelpunsch auf und schon ist Robbies Sandbank-Wohnzimmer voller gut gelaunter Seehunddamen.
Von Keksen, Wind und Glasstrohhalmen
Uwe und ich zünden die Weihnachtslichter in meiner Ferienwohnung an, setzen uns auf die Couch, kuscheln uns in zwei große Decken und lauschen auf den Wind draußen vor dem Fenster. „Robbies Kekse und der heiße Winterpunsch waren köstlich. Kein Wunder also, dass die Seehunddamen zugesagt haben“ sagt Uwe und prüft dabei die einzelnen Federn seines linken Flügels. Ich nicke und antworte ihm: „Du hast Recht, das war ein toller Nachmittag. Die Idee der Damen vom Schwimmsportverein, im alten Fischereihafen nach einem Gefährt zu suchen, sollten wir morgen in die Tat umsetzen. Da gibt es so einige Schiffe und andere Fahrzeuge. Vielleicht finden wir dort, wonach wir suchen.“ „Und vergiss die Geschenke nicht!“, grinst Uwe. „Nein, natürlich nicht!“, antworte ich und schaue nachdenklich aus dem Fenster. Draußen regnet es wieder und der Wind wird merklich stärker. Uwe bemerkt meinen besorgten Blick und sagt: „Sah schon ein bisschen witzig aus, wie die Seehunddamen mit Glasstrohalmen aus ihren Tassen tranken, oder?“ Wir lachen. Ich betrachte das Spiel der Kerzenflammen vor uns und werde langsam müde.
[1] Aus Datenschutzrechtlichen Gründen, ist es dem Deichschaf leider untersagt, den genauen Aufbewahrungsort des Geschenkedepots im Schloss Ritzebüttel bekannt zu geben. Vielen Dank für Ihr Verständnis!